Privatstiftungen können Gewinne (stille Reserven) aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft, an der die Stiftung innerhalb der letzten fünf Jahre zu mindestens einem Prozent beteiligt war, im Kalenderjahr der Veräußerung auf eine neu angeschaffte, mehr als 10%-ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft übertragen. Da die Anschaffungskosten für den neu erworbenen Anteil um die übertragenen stillen Reserven zu kürzen sind, wird der Veräußerungsgewinn erst bei Veräußerung der Ersatzbeteiligung (sofern nicht wiederum eine Übertragung stiller Reserven erfolgt) der Zwischensteuer unterworfen.
Bis zum VwGH-Erkenntnis vom 17.11.2022, Ra 2021/15/0053-9, wurde die Übertragung stiller Reserven aus einer Beteiligungsveräußerung auch im Wege einer Kapitalerhöhung und Leistung eines Agios bei einer bereits bestehenden, 100%-igen Tochterkapitalgesellschaft von der Finanzverwaltung als zulässig angesehen. Nach Ansicht des VwGH erfüllt diese Vorgehensweise jedoch nicht die vom Gesetz geforderte „Neuanschaffung“ von Anteilen, da durch die Kapitalerhöhung kein zusätzlicher Anteil von mehr als 10% erworben und auch das Agio nicht zur Abgeltung des über das Nominale hinausgehenden Wertes geleistet wird. Klar ist seitdem, dass die dazu in den Stiftungsrichtlinien vertretene Verwaltungsmeinung künftig als obsolet anzusehen ist. Gleichzeitig führte das VwGH-Erkenntnis zu zahlreichen Fragen und Unsicherheiten bezüglich der im Vertrauen auf die Stiftungsrichtlinien vorgenommenen und nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des VwGH stehenden Ersatzinvestitionen.
In der Regierungsvorlage des AbgÄG 2023 hat der Gesetzgeber eine Regelung zur Schaffung von Rechtssicherheit für „Altfälle“ vorgesehen. Dabei handelt es sich um Beteiligungsveräußerungen, bei denen stille Reserven vor dem 1. Jänner 2023 aufgedeckt und deren Übertragung auf eine Ersatzbeteiligung erklärt wurden. Diese stillen Reserven gelten auch dann als wirksam übertragen und die Anschaffungskosten der Ersatzbeteiligung als entsprechend gekürzt, wenn durch eine ordentliche Kapitalerhöhung bzw anlässlich der Kapitalerhöhung geleisteter Einlagen (zB Gesellschafterzuschüsse) ein Anteil von nicht mehr als 10% erworben wird und folgende Voraussetzungen erfüllt werden:
- Die Kapitalerhöhung wurde vor dem 1. Mai 2023 beschlossen.
- Die Privatstiftung hält danach einen Anteil von mehr als 10% oder das Grund- oder Stammkapital wurde um insgesamt mehr als 10% erhöht und die Privatstiftung machte von ihrem Bezugsrecht voll Gebrauch.
Diese Regelungen gelten sinngemäß für die Übertragung stiller Reserven bei Erwerb von Partizipationskapital oder Substanzgenussrechten. Demnach soll bei Altfällen auch bei einer bereits bestehenden, 100%-igen Beteiligung die Übertragung stiller Reserven im Wege einer Kapitalerhöhung und Leistung von Einlagen (Agio, Gesellschafterzuschuss) möglich sein.
Die Regelung soll rückwirkend ab der Veranlagung für das Kalenderjahr 2001 anzuwenden sein. Im Sinne der Rechtssicherheit wird damit die Rechtsmeinung der Finanzverwaltung für die Vergangenheit durch den Gesetzgeber legitimiert.
Für „Neufälle“ (Aufdeckung der stillen Reserven ab dem 1. Jänner 2023) ist eine Übertragung stiller Reserven nur mehr möglich, wenn ein Anteil von über 10% (sei es im Wege der Neugründung, eines Anteilserwerbs oder einer Kapitalerhöhung) erworben wird.
Die Gesetzwerdung bleibt abzuwarten und wird bis Mitte Juli erwartet.
Mag. Stefan Kulischek (stefan.kulischek@at.ey.com), Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, ist Geschäftsführer bei Ernst & Young Österreich und verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in der steuerlichen Beratung von vermögenden Privatkunden. Er ist Mitglied in Stiftungsvorständen sowie Autor von Fachartikeln und Buchbeiträgen zu den Themenschwerpunkten Privatstiftungen und Vermögensveranlagung.
Christina Zwettler-Hirsch (christina.zwettler-hirsch@at.ey.com) ist Steuerberaterin bei Ernst & Young in Wien und im Bereich Business Tax Advisory tätig. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der laufenden Beratung nationaler Unternehmen sowie vermögender Privatpersonen. Zuvor war sie ua Universitätsassistentin und Projektmitarbeiterin am Institut für Finanzrecht der Universität Wien.