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Digitalisierung/OrganisationVermögen in der Stiftung

Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft – Nutzen und Wert nachhaltiger Investments

By 29. Juni 2020November 16th, 2020No Comments

Wird ESG zur neuen Normalität?

Umwelt-, Sozial- und Unternehmensstandards – nach den Anfangsbuchstaben ESG der entsprechenden englischsprachigen Begriffe Environmental, Social, Governance – und die fortschreitende Digitalisierung sind zwei Großtrends, die derzeit in der Immobilienbranche diskutiert werden und auf dem Markt neue Prioritäten setzen. Diese Entwicklungen werden Auswirkungen auf die natürliche wie auf die gebaute Umwelt haben; in Europa etwa gibt es Hoffnungen, dass der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 skizzierte «Green Deal» Potenzial für einen «grünen Wirtschaftsaufschwung» nach der Corona-Pandemie hat.

Chancen der Transformation

«Es gibt klare wirtschaftliche Chancen für den Immobiliensektor in dieser Transformation, aber noch heute hat unsere Branche nicht wirklich das volle Potenzial und den realen Wert ausgeschöpft», erklärte Rebekka Ruppel, Geschäftsführerin von Pom+ Deutschland anlässlich des jüngsten RICS-Webinars zum Thema. Viele Unternehmen konzentrierten sich derzeit nur auf Gewinne, Be-wertungen und Umsatzeinflussfaktoren. Zu beachten seien aber auch die Faktoren Kunden- bzw. Mieterzufriedenheit, Kosteneinsparungen dank CO2-Reduktionen und das Senken von Betriebskosten. «Neue politische Regulierungen in Europa werden sicherlich die Nachhaltigkeitsagenda vorantreiben. Aber um wirklich Erfolg zu haben, brauchen wir einen einzigartigen Datenstandard, der auf globaler Ebene mehr Transparenz bei der CO2-Analyse und dem -Reporting bietet», erklärte Ruppel. Der Immobilienmarkt sei immer noch zu fragmentiert und einige Unternehmen interessierten sich nicht für Transparenz. Zwar gebe es die Vorgaben der Regierungen in Europa, langfristige Strategien zur Dekarbonisierung der Wirtschaft und damit auch für die Immobilienwirtschaft zu entwickeln. Doch den Großteil der Bestandsimmobilien europaweit bis ins Jahr 2050 zu «Quasi-Null-Energie»-Gebäuden zu modernisieren, sei eine überaus große Herausforderung.

Drei neue «P»

Für Susanne Eickermann-Riepe FRICS, Vorsitzende von RICS Deutschland, erfordert dieses Ziel einen neuen Analyse-, Benchmarking- und Bewertungsansatz. «Das Mantra für die Immobilienbranche hat sich geändert. Statt auf ‹Profit, Profit, Profit› konzentriert man sich jetzt auf ‹People, Planet und Profit›», so Eickermann-Riepe. Den Wandel der ESG-Agenda zum «New Normal» habe Corona beschleunigt; die Pandemie führe hinsichtlich Gebäude und Infrastruktur zu neuen Verhaltensweisen und Maßnahmen, beispielsweise zu datengestützten Lösungen und Technologien zur Aufrechterhaltung der Gesundheit und Sicherheit in Immobilien (u.a. durch-Kontrolle der Luftqualität, Warnsysteme, schnelleres Krisenmanagement, Notfallpläne). «In den letzten zehn Jahren haben die ESG-relevanten Vorschriften in ganz Europa, aber auch in anderen Teilen der Welt zugenommen», so Eickermann-Riepe. Es zeige, dass sich die Regulierungslandschaft auf diesem Gebiet rasch weiterentwickle. «Und dieser Trend dürfte sich fortsetzen.» Die neuen Initiativen zielten darauf ab, die Wirtschaft widerstandsfähiger und auf lange Frist nachhaltiger zu machen. «Neue Richtlinien und Gesetze ermutigen Investoren dazu, den grünen und sozialen Wert eines Assets und nicht nur seinen kurzfristigen Gewinn im Auge zu behalten», so die RICS Deutschland-Vorsitzende.

«Netto-Null-Portfolio»

Aufgrund der politischen Initiativen übernehmen immer mehr privat-wirtschaftliche Unternehmen ESG-Praktiken. So hat sich die international tätige und in verschiedenste Asset-Klassen investierende Zurich Insurance Group als erstes Unternehmen ihrer Branche 2019 zu den UN-Nachhaltigkeitszielen verpflichtet. Die Zurich will bis 2050 in sogenannte «Netto-Null-Portfolios» investieren, z.B. indem der CO2-Ausstoss bei Betrieb und Investitionen in Gebäude reduziert wird. «Nur wenn die Risiken hinsichtlich des Erdklimas und der CO2-Emissionen erkannt werden, können Investoren und Regierungen fundierte Entscheidungen treffen», sagte Roger Baumann MRICS, COO und Leiter Produktentwicklung Global Real Estate bei der Zurich Versicherungs-Gesellschaft AG. «Um die Netto-Null-Emissionsziele zu erreichen, brauchen wir mehr Datenaustausch und Transparenz.»

«Das nächste Unicorn»

«Wir sehen allmählich, dass sich grüne Investitionen besser entwickeln als traditionelle Anlagen. ESG ist auf dem besten Weg, das nächste Unicorn zu werden», sagte Jens Müller, Geschäftsführer von BuildingMinds, einer seit 2019 bestehenden Kooperation von Schindler Group und Microsoft. «Zur Bewältigung der Herausforderungen ist Zusammenarbeit unerlässlich.» BuildingMinds und RICS haben Anfang 2020 beschlossen, einen International Building Performance & Data Standard einzuführen, der aus dem International Building Operations Standard (IBOS) der RICS und dem Common Data Model for Real Estate besteht. Ziel der Kooperation ist, Investoren und politische Entscheidungsträger zu mehr Transparenz zu bringen und Konsistenz, Benchmarking und Qualität in diesem Sektor zu unterstützen. Die Branche müsse beginnen, Datensilos aufzubrechen, das Physische mit dem Digitalen verschmelzen, sich auf Transparenz einigen und sich auf ein gemeinsames Datenmodell konzentrieren, so Müller. «Um Entscheidungsfindungsprozesse auf der Grundlage datengestützter Erkenntnisse zu schaffen, müssen Unternehmen agiler werden.» Alle Arten von Daten müssten gesammelt, harmonisiert, allen zugänglich gemacht und durch branchenspezifische Standards angereichert werden, so dass sie «mit robusten und zuverlässigen Prozessen und Systemen verarbeitet werden» können.

Effizientere Gebäude

Gemäß Henriette Wendt, Chief Operations Officer (COO) bei Microsoft in Zürich, will der US-Konzern bis 2050 rund eine Milliarde US-Dollar in Maßnahmen rund um den Klimawandel investieren. Der Ansatz von Microsoft bestehe darin, seinen Kunden digitale Technologieplattformen anzubieten, um alle in die Lage zu versetzen, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. «Die Technologie ermöglicht, Effizienz in Gebäuden, nachhaltige Transformation, den Erhalt von Daten und Analysen sowie die Verfolgung und Berichterstattung», so Wendt.

«Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor sowie zwischen dem Immobilien- und dem Technologiesektor fördern», fasste Prof. Dr. Michael Trübestein MRICS, Leiter des MScRE-Studienprogramms an der Hochschule Luzern (HSLU) und seit kurzem Vorsitzender der Schweizer Sektion der RICS, die Ergebnisse des Webinars zusammen. Die Kombination von innovativen Lösungen und Datenanalyse mit unternehmerischer Nachhaltigkeit stellt aus Sicht von Trübestein eine ganz wesentliche Facette der langfristigen finanziellen Leistungsfähigkeit der Immobilienbranche dar: «Immobilienfachleute, Berufsverbände und Universitäten werden sicherlich eine Schlüsselrolle dabei spielen, Daten für Technologieunternehmen anzubieten, das Bewusstsein zu schärfen und die nächste Generation von Immobilienfachleuten darauf vorzubereiten, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen anzupassen.»

Mag. Mathias Rinka – Freier Wirtschafts- und Immobilienjournalist
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