Ausgangslage
Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Mieter und Pächter aufgrund der COVID 19-Pandemie und deren Auswirkungen von ihrer Zinszahlungspflicht befreit sind, beschäftigt seit Monaten Gerichte, Medien und natürlich die betroffenen Vertragsparteien selbst.
Höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt es dazu bis dato allerdings noch nicht. In zwei erstinstanzlichen Entscheidungen, die ein Textilhandelsunternehmen und einen Friseursalon betrafen, hat das Bezirksgericht Meidling den Mietern für die Phase des ersten Lockdown eine Zinsbefreiung nach dem mittlerweile nicht nur unter Juristen berühmten § 1104 ABGB zugestanden. Auch ein zweitinstanzliches Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, in dem es um eine im ersten Lockdown geschlossene Buchhandlung und einen Betrag von nicht einmal EUR 2.000 ging, bejahte für diesen Zeitraum ein Zinsbefreiungsrecht des Mieters.
Ist für die Vermieter und Verpächter damit alles verloren? Sind sie diejenigen, die das volle Risiko einer Pandemie zu tragen haben, die uns möglicherweise noch einige Zeit beschäftigen wird? Spielen staatliche Förderungen, die den Bestandnehmern im Zusammenhang mit COVID-19 gewährt werden, gar keine Rolle?
Mitnichten ist das letzte Wort in dieser Frage gesprochen. Die bisherigen Entscheidungen unterinstanzlicher Gerichte betreffen zunächst einmal nur die Phase des ersten Lockdowns, somit lediglich den Zeitraum März und April 2020. Viele Bestandnehmer hatten damals Nutzungskonzepte wie etwa Lieferservices, Take-Away, Click & Collect, etc. noch nicht auf den Weg gebracht. Auch einen staatlichen Umsatzersatz gab es nicht. Für den Zeitraum danach liegen aktuell noch keine gerichtlichen Entscheidungen vor.
Mittlerweile melden sich zudem sehr gewichtige Stimmen zu Wort, die mit beachtlichen Argumenten eine einseitige Risikoverteilung nur zu Lasten der Vermieter und Verpächter auch für die Phasen eines Lockdowns ablehnen. So stärkt etwa ein aktuelles Rechtsgutachten von Prof. Paul Oberhammer, dem vormaligen Dekan der Juristischen Fakultät der Uni Wien, die Position der Bestandgeber.
Bemerkenswert ist auch die aktuelle Entwicklung in der deutschen Rechtsprechung: Jüngste Entscheidungen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Frankfurt a.M. vom Februar 2021 bzw. März 2021 verneinen ein Zinsminderungsrecht von Geschäftsraummietern schon für die Zeit des ersten Lockdown zur Gänze. Die beiden deutschen Gerichte begründen dies damit, dass sich die Lockdown-Maßnahmen eben nicht objektbezogen ausgewirkt hätten, sondern sich auf den Betrieb der beklagten Mieter beziehen. Die Räume selbst würden ja keine zur Minderung berechtigenden Mängel aufweisen, sondern seien zum vertraglich vereinbarten Gebrauch tauglich gewesen.
Im Folgenden sollen nun in aller Kürze die wesentlichen Argumente, die für die Bestandgeberseite sprechen, dargestellt werden.
Was spricht gegen eine Zinsbefreiung?
Bei den in § 1104 ABGB vorgesehenen Fällen geht es um die Frage der Brauchbarkeit des Objekts an sich. Das Bestandobjekt muss von einem bestimmten außergewöhnlichen Zufall – etwa einer Seuche – betroffen sein, um eine Zinsbefreiung begründen zu können. Es muss also ein Objektbezug vorliegen. COVID 19 ist aber eine Pandemie, deren Auftreten nicht mit einem konkreten Bestandobjekt zusammenhängt, sondern weltweit alle trifft. COVID-19 ist daher auch kein spezifisches Vermieterrisiko. Das Bestandobjekt wird durch die Seuche nicht unbrauchbar, sofern nicht ausnahmsweise das Objekt selbst „verseucht“ ist. Dieses Argument wird bislang auch von den deutschen Gerichten geteilt.
Von der Seuche selbst sind die bloß indirekten Folgen der Pandemie zu unterscheiden. Die im Zusammenhang mit COVID-19 getroffenen behördlichen Maßnahmen, wie etwa Betretungsverbote, sind solche bloß indirekten Folgen der Seuche. Sie richten sich an die Allgemeinheit bzw. sehen zwar Beschränkungen für bestimmte Branchen vor, greifen jedoch nicht in die Substanz eines Objekts ein und wirken sich auch nicht objektbezogen aus. Die an bestimmte Branchen gerichteten Betretungsverbote wirken sich allenfalls branchenbezogen aus und sind daher gemäß § 1107 ABGB der Mietersphäre zuzurechnen.
Dasselbe gilt für jene behördlichen Maßnahmen, die außerhalb der Lockdowns getroffen wurden, wie etwa Abstandsregeln. Die Einhaltung eines Mindestabstands an sich, also der mittlerweile berühmte „Babyelefant“, gilt ja nicht nur für Kundenbereiche von Betriebsstätten, sondern überhaupt im gesamten öffentlichen Raum. Ein Objektbezug fehlt also auch hier. Es stellt sich in vielen Fällen darüber hinaus die Frage, ob Mindestabstandsregeln überhaupt kausal dafür sind, dass weniger Kunden in ein Geschäft kommen. Dies wäre, wollte man Abstandsregeln überhaupt eine Relevanz für die Frage der Zinszahlungspflicht beimessen, vom Bestandnehmer zu beweisen.
Erst recht ist der bloße Rückgang der Kundenfrequenz, der seinen Grund in den wirtschaftlichen oder psychologischen Folgen der Pandemie hat, dem in der Marktwirtschaft allein vom Bestandnehmer zu tragenden Unternehmerrisiko zuzuordnen.
Etwas Anderes könnte in all diesen Fällen gelten, wenn einem Bestandnehmer ausnahmsweise eine bestimmte Mindestanzahl an Kunden oder ein bestimmter Mindestumsatz zugesagt worden wäre. Das ist aber üblicherweise ist nicht der Fall.
Dass ein Bestandgeber auch in den Lockdown-Phasen das Zinsrisiko nicht allein zu tragen hat, wird auch durch das bereits erwähnte Gutachten von Prof. Oberhammer gestützt. Dieser zeigt einen Mittelweg auf und spricht sich für Zeiten des Lockdowns, in denen ein Objekt aufgrund eines behördlich angeordneten Betretungsverbotes gar nicht benutzt werden konnte, für eine Teilung des finanziellen Risikos zwischen Bestandgeber und Bestandnehmer aus. Demnach schuldet der Mieter selbst bei vollständigem Entfall der Nutzungsmöglichkeit zumindest den halben Zins. Rechtlich handelt es sich hier um eine Vertragsanpassung für die Zeit des Lockdowns. Kommt eine solche Anpassung für die Parteien nicht in Frage, könnte der Bestandvertrag aufgelöst werden.
Werden einem Mieter oder Pächter aber staatliche Förderungen, wie etwa ein Fixkostenzuschuss oder ein Umsatzersatz gewährt, so liegt wohl schon deswegen keine gänzliche Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes vor, weil der Bestandnehmer ja zumindest staatliche Einnahmen im Zusammenhang mit dem Objekt erzielt, die auf eine allfällige Zinsminderung zumindest angerechnet werden müssen.
Ein gänzlicher Zinsentfall für die Lockdown-Phasen scheidet zudem aus, wenn das Bestandobjekt zumindest teilweise genutzt wurde, etwa für Take-Away oder Lieferservices oder im Rahmen eines Click & Collect-Konzepts. Bei mehrjährigen Pachtverträgen ist eine Zinsminderung bei teilweiser Brauchbarkeit des Objekts schon nach § 1105 ABGB zur Gänze ausgeschlossen. Es bestehen gute Argumente dafür, dass dies auch für Geschäftsraummieten gelten muss.
Conclusio
Gegen eine gänzliche Zinsbefreiung selbst in Lockdown-Phasen sprechen beachtliche Argumente. An die Bestandnehmer gewährte staatliche Förderungen, etwa ein Umsatzersatz, sollten jedenfalls berücksichtigt werden. Höchstrichterliche Entscheidungen stehen allerdings noch aus. Es bleibt daher abzuwarten, welchen Argumenten der Oberste Gerichtshof letztlich folgen wird. Bestandnehmern ist jedenfalls auch für die Phasen eines Lockdowns keinesfalls zu raten, die Zinszahlungen einfach zur Gänze einzustellen und dadurch einen Räumungsstreit zu riskieren.
Dr. Manfred Ton ist Rechtsanwalt und Partner bei CERHA HEMPEL in Wien.