In der Vermögensveranlagung rückt in turbulenten Marktphasen das Spannungsfeld zwischen Ratio und Emotion in den Mittelpunkt – bei Kunden wie auch bei ihren Beratern.
Orientierungshilfen in Börsenphasen wie wir sie gerade erleben sind rar. Insbesondere, wenn die Marktbewegung mit der Rasanz und begleitet von der medialen Weltuntergangsstimmung erfolgt wie dieser Tage. Aus der Analyse des Kundenverhaltens unmittelbar nach dem Tiefpunkt der Märkte während der letzten großen Finanzkrise von 2008 lassen sich aber einige Erkenntnisse gewinnen, welche als Wegweiser in der aktuellen Situation dienen können. Selbstverständlich hat jede Krise seine Eigendynamik und in vielen Aspekten ist die aktuelle Corona-Krise definitiv nicht vergleichbar mit der Finanzkrise von 2008. Dennoch durchläuft in Phasen extremer Verunsicherung das Seelenleben der Berater und ihrer Kunden immer wieder ähnliche und durchaus unerwartete Verhaltens- und Gedankenmuster, insbesondere wenn man mit etwas Abstand auf eine Börsenphase zurückblickt. Ein Leitgedanke um der aktuellen Hysterie zu entkommen, könnte wie folgt lauten: Wie wird man wohl als Anleger in ein paar Monaten auf die Corona-Krise zurückblicken? Anhand Befragungsdaten von Private-Banking-Kunden in den Jahren 2010/2012, in denen sie das eigene Verhalten während der Finanzkrise reflektierten, lassen sich einige Erkenntnisse aus der damaligen „Krisenbewältigung“ gewinnen.
Kaufen in der Panik
Als Reaktion auf die damals stürzenden Kurse teilte sich die Private-Banking-Kundschaft im Schnitt ziemlich genau in ein Drittel der Kunden, welche während der Finanzkrise nichts änderte, ein Drittel der Aktienpositionen abbaute und ein Drittel der Aktien nachkaufte. Die Gruppe der sehr Vermögenden unter den Vermögenden erwies sich dabei als wahre „Contrariens“ und kaufte zu einem sehr hohen Anteil Aktien nach. Die sehr Vermögenden in der Stichprobe sind besonders interessant in ihrem Verhalten, da sie eine überdurchschnittliche Abneigung gegenüber Risiken haben und sehr konservativ investieren. Diese Risikoaversion setzen sie nun aus ihrer Sicht um, indem sie überdurchschnittlich oft bei fallenden Kursen Aktien nachkauften. Dies klingt nach einer Strategie, welche dieser Tage besonderen Mut bedingen würde, aber offensichtlich seine Früchte trägt. Private-Banking-Kunden sind auf jeden Fall bei großen Kursstürzen handlungsfreudiger als Retail-Banking-Kunden. Dabei ist sowohl der Anteil, der antizyklisch agiert (nachkaufen) wie auch derjenige, der prozyklisch agiert (verkaufen), höher als im Retail Banking.
Extreme Suche nach Safe-Haven
Die Suche nach sicheren Häfen als Absicherung gegenüber Inflation (diese Angst war damals sehr präsent) oder sonstigen Worst-Case-Szenarien (Bankensystem kollabiert) trieb die Kunden damals in Cash und Gold. So hat während der Finanzkrise rund die Hälfte der damals befragten Private-Banking-Kunden ihren Portfolio-Anteil in Gold erhöht. Bemerkenswert ist der Umstand, dass ein durchaus relevanter Teil der Private-Banking-Kunden zu einem bestimmten Zeitpunkt so panisch wurde, dass ein enorm hoher Anteil des eigenen Vermögens – bis zu drei Viertel – in diese Anlageklasse investiert wurde. Massives Herdenverhalten ist ein Merkmal einer Marktverwerfung und gefährdet geradezu die Sicherheit der vermeintlichen Save-Haven-Assets, indem der Preis stark verzerrt wird, insbesondere für die Spätkommenden in der Herde.
Ärger und Erleichterung
Zwei weit verbreitete emotionale Zustände prägten die Gefühlslage der Investoren: Einerseits zeigte sich ein gewisser Ärger über verpasste Renditechancen, da viele Anleger in der sich kontinuierlich zuspitzenden Entwicklung Aktien verkauften und dann die (eigentlich fast immer) genauso überraschenden und abrupten Gegenbewegungen verpassten und danach wohl eher spät wieder in den Markt einstiegen. Andererseits empfanden vor dem Hintergrund der medialen «Weltuntergangsstimmung», welche sich Ende 2008/Anfangs 2009 ausbreitete, einige Anleger ihre eigene Anlagerendite schlussendlich nicht ganz so desaströs. Eine gewisse Erleichterung darüber, doch nicht das ganze Vermögen verspielt zu haben, ist unübersehbar gewesen. Dass sich in solchen Phasen auch bei vermögenden Kunden die Angst um die eigene materielle Existenz breit macht, war damals bei rund 40% der Kunden der Fall. Sichtbar in den Zahlen ist aber auch, dass nach einer relativen kurzen Zeit die Erinnerung an diese Ängste verblasste oder verdrängt wurde.
Privatbanken überzeugten
Interessant ist nun, wie die Kunden mit der Beratungsleistung der eigenen Bank in der damaligen Krisenzeit zufrieden waren. Verblüffend ist im Lichte der großen Verwerfungen an den Finanzmärkten im Zuge der Finanzkrise, wie konstant die Zufriedenheitswerte selbst in der damaligen Phase waren. Im Urteil ihrer Kunden scheinen insbesondere Privatbanken es verstanden zu haben, durch ihre Kundennähe und Betreuungsintensität die Zufriedenheit der Kunden zu wahren oder gar zu steigern. Etwas angeschlagener kamen damals in dieser Hinsicht die Großbanken aus der Finanzkrise, wobei zu beachten ist, dass diese teilweise selber tief von der Krise betroffen waren.
Mehr oder weniger Beratung?
Die Anzahl der Selbstentscheider (Solisten) nahm tendenziell in den Jahren nach der Finanzkrise zu. Sicherlich wurden Private-Banking-Kunden in der Finanzkrise von der vermeintlich sicheren Anlagestrategie, welche ihnen empfohlen wurde, auch enttäuscht. Diese enttäuschende Erfahrung treibt immer wieder Investoren in die Gruppe der Selbstentscheider oder zumindest zu einer Abkehr vom eigenen Berater. Dem ist allerdings gegenüberzustellen, dass gerade bei besonders beratungsintensiven Kundenbeziehungen (z.B. bei Kunden von Privatbanken) die Zufriedenheit während der Krise weiterhin sehr hoch geblieben ist. Möglicherweise deutet dies darauf hin, dass vor allem Kunden ohne intensive Betreuung entschieden haben, nun gänzlich auf die Dienste eines Beraters verzichten zu wollen. Einige Jahre nach der Finanzkrise zeigte sich allerdings auch, dass ein Teil dieser Kunden sich wieder neu besann und erneut professionelle Beratungsleistungen nachfragten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass gerade in Phasen von hoher Unsicherheit und einer gewissen Hilflosigkeit bei sich überstürzenden Ereignissen eine verstärkte Nachfrage nach Anbietern, welche sich als Navigationshilfen verstehen, zu beobachten ist. Dies auch deshalb, weil sich viele Kunden gerade in diesen Phasen als besonders unwissend und ahnungslos empfinden.
Wissen schützt vor Irrationalität nicht
Ernüchternd ist allerdings auch die damalige Erkenntnis, dass mehr Wissen vor Irrationalität nicht schützt. Während der Kenntnisstand über (technische) Finanzfragen durchaus gut sein kann, unterliegt der Anleger sehr stark psychologischen Einflüssen. Dies gilt selbstverständlich auch – oder insbesondere – für Kundenberater selber. Diese Fehleinschätzung ist umso gefährlicher, weil Wissen wiederum mit einer höheren Risikobereitschaft einhergeht. Vermeintliches Wissen bestärkt also den Handelnden in seinen Entscheidungen und verleitet ihn dazu, riskanter zu agieren. Schaut man sich die Rendite von Investoren mit hohem Finanz-Know-How und solchen mit keinen oder nur Basis-Kenntnissen an, sieht man keinen Renditeunterschied während oder nach der Finanzkrise. Finanzwissen schützt somit zweifach nicht: vor Irrationalität nicht und vor Verlusten auch nicht.
Aktueller Bezug
Die Art und Weise, wie Private-Banking-Kunden auf ihr eigenes Verhalten während der Finanzkrise von 2008 zurückgeschaut haben, kann in der aktuellen Marktphase zur Vorsicht vor Herdenverhalten mahnen und gleichzeitig hoffnungsvoller auf die Zeit danach blicken. Wir wissen nicht wann, aber auch wir werden diese Krise zu einem bestimmten Zeitpunkt überstanden haben. Dann werden wir auch auf unser Verhalten während dieser Tage, Wochen (oder Monate) zurückblicken. Vieles von dem, was nach 2008 gesagt wurde, könnte dannzumal auch unsere Erkenntnis sein.
Univ.-Prof. Dr. Teodoro D. Cocca
Teodoro D. Cocca ist Banken-Professor an der Johannes-Kepler-Universität in Linz und Adjunct Professor am Swiss Finance Institute.