Angesichts der Tatsache, dass sich Familien, Vermögenswerte und Rechtssysteme zunehmend über Kontinente erstrecken, hat sich die Nachfolgeplanung zu einem komplexen grenzüberschreitenden Unterfangen entwickelt. Für vermögende Privatpersonen und ihre Berater stellt die Navigation divergierender Erbrechtsordnungen sowohl organisatorische als auch rechtliche Herausforderungen dar – nicht zuletzt aufgrund der Zwänge von Pflichtteilsregelungen.
Der strategische Erwerb einer zweiten oder weiteren Staatsangehörigkeit erweist sich dabei zunehmend als wirkungsvolles Instrument der Vermögens- und Nachlasssicherung. Neben den üblicherweise verbundenen Vorteilen im Zuge des Staatsbürgerschaftserwerbs wie Mobilität, geschäftlichen Möglichkeiten und steuerlichen Aspekten liegt ein oft übersehener Vorteil im Potenzial, größere Testierfreiheit zu erlangen. Gemäß der EU-Erbrechtsverordnung eröffnet eine strategische Staatsangehörigkeitsplanung den Zugang zu flexibleren Gestaltungsmöglichkeiten der Nachlassplanung, selbst in traditionell strengen Jurisdiktionen wie Österreich, und ermöglicht es Erblassern, ihr Vermächtnis frei nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten.
Pflichtteilsrecht: Ein Hindernis für die Testierfreiheit
Pflichtteilsregelungen sind gesetzliche Bestimmungen, die die Möglichkeit einer Person einschränken, über ihren Nachlass frei zu verfügen. Diese Regelungen bestehen in den meisten EU-Mitgliedsstaaten und schreiben unabhängig von den Bestimmungen eines Testaments vor, dass bestimmte Angehörige – in der Regel Ehegatten und Kinder – einen festgelegten Anteil am Nachlass des Verstorbenen erhalten. So haben in Österreich Kinder Anspruch auf mindestens ein Drittel des Nachlasses, während Ehegatten mindestens ein Sechstel erhalten.
Auch wenn diese Vorschriften den Schutz der Familienangehörigen gewährleisten, beschränken sie die letztwilligen Verfügungen einer Person erheblich– insbesondere bei international agierenden Personen mit diversifizierten, grenzüberschreitenden Vermögensstrukturen.
Ein Weg durch die Zwänge des Pflichtteilsrechts
Eine EU-Verordnung ist ein verbindlicher Rechtsakt, der in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar gilt, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedarf. Die EU-Erbrechtsverordnung wurde eingeführt, um grenzüberschreitende Nachlassfälle zu klären und die Bestimmungen darüber, welches Gericht zuständig und welches Recht anzuwenden ist in den meisten EU-Mitgliedstaaten zu harmonisieren (ausgenommen Dänemark und Irland).
Artikel 20 der EU-Erbrechtsverordnung verfügt prinzipiell, dass auf die Nachfolge einer Person das Recht des Staates anzuwenden ist, in dem sie zum Zeitpunkt ihres Todes ihren Lebensmittelpunkt hatte. Artikel 22 Abs 1 eröffnet jedoch die wichtige Ausnahme:
Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Darüber hinaus beschränkt sich das anwendbare Recht nicht auf EU-Mitgliedstaaten, sodass Personen auch Nicht-EU-Jurisdiktionen als maßgebliches Recht ihrer Nachfolge wählen können. Es ist ebenfalls zu beachten, dass das gewählte Recht auf den gesamten Nachlass Anwendung findet, unabhängig von Art oder Lage der Vermögenswerte.
Staatsangehörigkeitsplanung als strategisches Instrument der Nachlassgestaltung
Traditionell konzentrierte sich die Nachlassplanung auf Testamente, Trusts und Steueroptimierung. Für international agierende Personen ist nun auch die Staatsangehörigkeit ein maßgeblicher Faktor für die strategische Planung ihres Nachlasses. Für Personen und Familien mit Vermögenswerten, die über verschiedene Jurisdiktionen verteilt sind, ist der gewöhnliche Aufenthalt nicht mehr der entscheidende Faktor dafür, wie Vermögen vererbt wird.
Die Einbürgerung in einem Drittstaat – sei es aus Gründen des Lebensstils, der Mobilität, steuerlicher Vorteile oder der Sicherheit – ermöglicht es Personen die in der EU den gewöhnlichen Aufenthalt haben, die nationalstaatlichen Nachlassregelungen, inklusive restriktive Pflichtteilsregelungen zu umgehen.
Beispielsweise: Bei einem französisch-britischer Doppelstaatsbürger, der in Österreich gewöhnlich aufhält und ohne Testament verstirbt würde das österreichische Recht mit seinen Pflichtteilsregelungen Anwendung finden. Sollte der Erblasser hingegen in seinem Testament ausdrücklich seinen Wunsch nach Anwendung des britischen Rechts festgehalten. Somit konnten die restriktiven österreichischen Vorschriften umgangen werden. Der Erwerb einer weiteren Staatsbürgerschaft kann somit zu einem wirkungsvollen juristischen Instrument werden, das es Erblassern ermöglicht, Rechtsordnungen entsprechend ihren Wünschen auszuwählen und die Kontrolle über ihren Nachlass zurückzugewinnen.
Rechtliche Risiken im Blick behalten
Trotz der zuvor dargestellten Möglichkeiten zur Rechtswahl sieht Artikel 35 der EU-Erbrechtsverordnung einen ordre-public-Vorbehalt vor. Danach kann ein Gericht die Anwendung des gewählten Rechts versagen, wenn dessen Anwendung offensichtlich mit der öffentlichen Ordnung des angerufenen Staates unvereinbar wäre.
Im Zuge dessen wurde die Vereinbarkeit einer Rechtswahl mit dem ordre-public-Vorbehalt insbesondere im Hinblick auf die Umgehung der in verschiedenen Mitgliedstaaten geltenden Pflichtteilsrechte geprüft – unter anderem in Österreich, Italien und Frankreich. In diesen Mitgliedstaaten wurde bestätigt, dass die Rechtswahl und die daraus resultierende Umgehung von Pflichtteilsregelungen zulässig ist. Ein Gegenbeispiel stellt jedoch Deutschland dar: Der deutsche Bundesgerichtshof vertritt hier einen konservativeren Ansatz und betrachtet die Pflichtteilsregelungen als verfassungsrechtlich geschützt, weshalb eine Rechtswahl mit dem Ziel, das deutsche Pflichtteilsrecht zu umgehen, nicht uneingeschränkt zulässig.
Diese Divergenz verdeutlicht die Notwendigkeit, die Reichweite des ordre-public-Vorbehalts in den jeweiligen Mitgliedstaaten im Rahmen der Nachlassplanung sorgfältig zu prüfen.
Staatsangehörigkeit als Gestaltungsinstrument der Nachlassplanung
In einer globalisierten Welt bewegen sich Vermögenswerte frei – das Erbrecht ist jedoch oftmals an nationale Gestaltungsmöglichkeiten gebunden. Die Staatsangehörigkeit, oft als Symbol für Identität oder Mobilität gesehen, entwickelt sich zunehmend zu einem strategischen Instrument der Nachlassplanung. Die EU-Erbrechtsverordnung stellt den rechtlichen Rahmen bereit, doch nur eine proaktive Staatsangehörigkeitsplanung kann ihr volles Potenzial erschließen. Für diejenigen, die ihr Vermögen sichern und über dessen künftige Verteilung frei bestimmen möchten, ist es entscheidend, rechtliche Instrumente mit globaler Mobilität in Einklang zu bringen.
Autor: Stefan Pacher, LL.M. (WU), LL.M., TEP, IMCM, ist Senior Government Advisory Manager bei Henley & Partners.


