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Vermögen in der Stiftung

Investmentprozess a la nextgen

By 25. März 2019Oktober 4th, 2021No Comments

Investmentprozess a la nextgen“ für Privatstiftungen
Rund 3100 Privatstiftungen in Österreich verfügen über ein Vermögen von etwa 70 Milliarden Euro. Diese Vermögenswerte müssen bewirtschaftet werden. Der Handlungsspielraum eines jeden Stiftungsvorstandes wird durch den Stiftungszweck in der Stiftungserklärung definiert. Damit dieser erreicht werden kann, gilt es in der Praxis ua unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Um den speziellen Anforderungen moderner Privatstiftungen gerecht zu werden, ist ein professionell strukturierter Prozess notwendig. Dies hat noch eine zusätzliche Dynamik erhalten, da der Österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) im Frühjahr 2016 entschieden hat, dass die aus dem anglo-amerikanischen Rechtsbereich stammende Business Judgement Rule auch im Privatstiftungsrecht anwendbar ist.

Für Stiftungsvorstände bedeutet dies, dass bei Entscheidungen, die einem unternehmerischen Ermessen unterliegen, eine Haftung dann ausgeschlossen ist, wenn sich die Mitglieder des Stiftungsvorstandes

– nicht von sachfremden Interessen leiten lassen,
– die Entscheidungen auf Grundlage angemessener Informationen getroffen wurden,
– ex ante betrachtet offenkundig dem Wohl der Privatstiftung dienten
– und der Stiftungsvorstand in gutem Glauben handelte.

Die Entscheidung des OGH ist nicht überraschend, auch die herrschende Lehre hat die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule im Privatstiftungsrecht schon bisher bejaht. Für Stiftungsvorstände bedeutet dies, dass diese zur Vermeidung eines Haftungsrisikos sämtliche Entscheidungen gründlich vorbereiten und jeden ihrer Schritte so ausführlich dokumentieren sollten, dass sich die sorgfältig aufbereiteten Entscheidungsgrundlagen auch nachträglich nachvollziehen lassen.

Unter der Business Judgement Rule ist somit im Wesentlichen der Grundsatz zu verstehen, dass ein Stiftungsvorstand, der das Wagnis einer unternehmerischen Entscheidung eingeht, nicht dafür haften soll, wenn sich seine Entscheidung zwar als Irrtum herausstellt und Schaden daraus resultiert, er aber bestrebt war, auf einer informierten Grundlage und frei von Interessenkonflikten das Beste für die Privatstiftung zu bewirken.

Die Business Judgement Rule gilt allerdings nur für „unternehmerische Entscheidungen“, die

dem Stiftungsvorstand ein gewisses Ermessen einräumen. Klassische Ermessenentscheidungen die der Business Judgement Rule unterliegen sind nach Ansicht des OGH insbesondere die Veranlagung des Stiftungsvermögens (Ausnahme wäre wenn der Stiftungsvorstand gemäß der Stiftungserklärung den Stiftungsbeirat zumindest beratend einzubeziehen hätte) und die Verwaltung des Stiftungsvermögens.

Im Folgenden wollen wir uns auf den Bereich der Vermögensveranlagung konzentrieren.

Zwei Bereiche gilt es dabei für den Stiftungsvorstand zu bedenken: einerseits das Erreichen des Stiftungszweckes und damit das Managen von Ertragsquellen und Risikofaktoren, wie z.B. Markt- und Kontrahentenrisiken, und andererseits den Erhalt entsprechender Information, damit ein fundierter Entscheid über die Veranlagung gefällt werden kann. Um zu dieser Entscheidung strukturiert zu gelangen, sollte man sich an den „Investmentprozess a la nextgen“ orientieren, der in 4 Schritte aufgegliedert ist:

  1. Anlagerichtlinien:

So Anlagerichtlinien nicht in der Stiftungserklärung enthalten sind, müssen diese unter Einbeziehung eines Organs (z.B. Beirat) und unter Mithilfe eine Spezialisten (externer Advisor) in einem ersten Schritt durch der Vorstand erarbeitet werden, die die individuellen Vorgaben für die Verwaltung des Stiftungsvermögens darstellen. Folgende Informationen sollten sie enthalten:

  • Anlageziele (Stiftungszweck)
  • Annahmen zum Kapitalmarkt
  • Anlageprämissen:
    • Vorgaben in der Portfoliokonstruktion (Methodik)
    • Limitierungen und Ausschlüsse von bestimmten Kapitalanlagen? Bonität der Papiere; Anteil einzelner Anlageklassen und Fremdwährungen
    • Anlageuniversum – welche Anlageinstrumente sind zulässig?
    • Ethische oder nachhaltige Aspekte in der Veranlagung?
  • Anlageprozess:
    • Wer trifft die Entscheidungen?
    • Sind die Entscheider auch für die Entscheidung verantwortlich?
    • Wie werden Entscheidungen getroffen (Choice Architecture)?
    • Wie werden Entscheidungen begründet und dokumentiert
    • Wie ist eine strukturelle Verbesserung von Entscheidungen gewährleistet (Lernschleifen)?
  • Performance und Reporting:
    • In welchen Zeiträumen wird der Stiftungsvorstand, werden die anderen Stakeholder in welcher Form und welchem Umfang informiert?
    • An welcher Benchmark orientiert sich die Performance?

Am Ende von Schritt 1 sind die gesammelten Anlagerichtlinien mit dem Stifter/dem Beirat abzustimmen. Zwar bleibt dem Vorstand die Letztentscheidung in der Interpretation der Stiftungserklärung und damit verbunden die Haftung, aber die Abstimmung dient der Erwartungsklärung zwischen Prinzipal und Agent. Die Anlagerichtlinien sollen dem Vorstand das Interesse nehmen sich aus der Verantwortung des unternehmerischen Handelns zu stehlen und lediglich Dienst nach Vorschrift zu machen. Zugleich sollen sie die Angst nehmen, in das Haftungsrisiko zu laufen. Diese Balance benötigt, neben der Qualifikation und Motivation des Vorstands, auch eine Synchronisierung von Anreizsystemen und Entscheidungsarchitektur, um dem Gleichgewicht eine dauerhafte Perspektive zu ermöglichen.

  1. Auswahl/Ausschreibung:

Im zweiten Schritt gilt es, den/die passenden Partner für die Veranlagung zu finden. Dies kann durch eine Ausschreibung (Beauty Contest) erreicht werden, bei der strukturiert Arbeitsweise und Qualität bzw. Fähigkeit des Vermögensverwalters in Erfahrung gebracht wird.

7 Themenkreise werden abgefragt, die dem Vorstand als Nachweis einer klar strukturierten Vorgehensweise dienen und die Nepotismus verhindern:

  • Angaben zum Unternehmen // Angaben zur Qualität der Entscheider
  • Art und Weise der Vermögensverwaltung
  • Risikomanagement
  • Kommunikation und Reporting
  • Kosten
  • Allgemeines Vertragswerk
  • Anlagevorschlag

Der Nutzen für den Stiftungsvorstand liegt darin, dass durch die klaren Vorstellungen und Vorgaben bei den Anlagerichtlinien eine Wettbewerbssituation zwischen den Anbietern entsteht und der Vorstand auf Augenhöhe verhandelt. Zugleich wird der Vorstand in die Pflicht genommen, die gefühlte Verantwortung in der Veranlagung nicht an den Partner abschieben zu können, sondern manifestiert ein lebendiges Verständnis für die Letztverantwortung im unternehmerischen Handeln.

  1. Umsetzung:

Aufgrund der Anlagerichtlinien wird in diesem Schritt der Anlagevorschlag, der möglicherweise modifiziert werden muss, umgesetzt.

Hierbei ist nun von Relevanz, wie die Privatstiftung bei der konkreten Umsetzung betreut werden möchte – so gibt es die Möglichkeit im Rahmen eines Spezialfonds (bei entsprechenden Mitteln) oder über das Management auf Depotebene zu agieren. Zu bedenken gilt weiters, ob eine Depotführung im Ausland gewünscht ist.

  1. Reporting/Begleitung:

Die Business Judgement Rule verlangt fundierte Information, damit Entscheidungen getroffen werden können. Diese Information hat die Privatstiftung in den ersten 3 Schritten des Prozesses perfekt erhalten – nun gilt es noch, die Begleitung der Privatstiftung sicher zu stellen.

Dies wird durch den Report zur Lage der Privatstiftung erreicht – ein detaillierter Bericht zur Lage der Privatstiftung, der folgendes beinhalten soll:

  • Transparenz über die aktuelle Lage der Privatstiftung in Bezug auf Erreichung des ursprünglichen Stiftungszweckes
  • Information über das Einhalten der Anlagerichtlinien oder ob diese möglicherweise aufgrund des geänderten Kapitalmarktumfeldes erneuert werden müssen (wenn dies die Stiftungserklärung zulässt).
  • Auflistung sämtlicher Kosten
  • Aussagen zum Kapitalmarktumfeld in Bezug auf die tatsächliche Stiftungsveranlagung (inklusive Stresstestszenarien, quantitativer wie qualitativer Risikofaktoren, etc.).
  • Teil der Begleitung soll auch ein kontinuierlicher Verbessserungsprozess im Entscheidungsverhalten des Vorstandes sein. Hierzu sind Reflexions- und Feedbackschleifen mit den Stakeholdern als Teil des Prozesses zu definieren.

Dadurch wird ein Lernumfeld etabliert, in dem der Vorstand selbstbefähigt unternehmerisches Handeln optimieren kann.

Fazit: aufgrund geänderter Rahmenbedingungen punkto Rechtslage, Kapitalmarktkomplexitität und Erwartungshaltung seitens der Stifter/Begünstigten an den Vorstand muss bei Privatstiftungen ein höheres Maß an Professionalität Einzug halten. Eine zeitgemäße und strukturierte Herangehensweise im Bereich der Vermögensveranlagung und –verwaltung ist unumgänglich. Der „Investmentprozess a la nextgen“ führt in klaren Schritten durch diesen Prozess. Darüber hinaus ist eine genaue Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen sowie der Beweggründe bei jeder Ermessenentscheidung zu empfehlen.

Die Autoren:

Die Plattform stiftung-nextgen.at wurde vor rund 5 Jahren gegründet und thematisiert aktuelle Fragestellungen österreichischer Privatstiftungen auf Disziplinen übergreifende Art und Weise. So entstand auch dieser Beitrag in Abstimmung folgender Autoren:

MMag. Dr. Nikola Leitner-Bommer ist Anwältin bei Leitnerlaw

Mag. Markus Schuller, MBA, MScFE. Als erfahrener Investment Banker blickt Markus Schuller auf 15 erfolgreiche Jahre in der Anwendung innovativer Finanzmarkt-Methoden zurück. Nach beruflichen Stationen bei Banken, Hedge- und Private Equity Fonds, gründete er 2009 das Beratungsunternehmen Panthera Solutions mit Sitz im Fürstentum Monaco.

Mag. Manfred Wieland ist Gründer der Plattform stiftung-nextgen.at. Er ist Kapitalmarktexperte mit besonderem Fokus auf strukturierte Investmentprozesse.